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Klasse statt Masse – auch bei Bienenvölkern

Gibt es zu viele Honigbienen? Sind diese eine Konkurrenz zu anderen bestäubenden Insekten? Und was braucht es wirklich? Eine Stellungnahme von Mellifera e. V. zum Thema Bienendichte.

In Deutschland steigt die Anzahl der Honigbienenvölker seit 2007 kontinuierlich an. Im Jahr 2021 erreichte sie erstmals wieder die Marke von mehr als einer Million Völkern. In Naturschutzkreisen wird diskutiert, ob die steigende Anzahl an Bienenvölkern eine Gefahr für Wildbienen und andere Blüten besuchende Insekten darstellt.

Grundsätzlich stellt sich die Frage, wie viele Bienenvölker sinnvoll und erstrebenswert sind. Mellifera e. V. sind sowohl die Vermittlung einer wesensgemäßen Bienenhaltung als auch die Förderung der Lebensräume für Wildbienen und andere bestäubende Insekten wie z. B. Schmetterlinge wichtige Anliegen. Daher möchten wir folgende Thesen zu diesem Themenspektrum aufstellen:

1. Wir brauchen nicht noch mehr Bienenvölker, die vorhandenen Völker müssen besser gehalten werden.

Freies Bauen: Im Naturwabenbau entstehen individuelle Wabenkörper.

In der Imkerschaft wird oft darauf verwiesen, dass in den 1950er-Jahren mehr als zwei Millionen Bienenvölker in Deutschland gehalten wurden. Allerdings hat die Landschaft damals ganz anders ausgesehen, mit einem großen Angebot an blühenden Wiesen, Säumen und Beikräutern auf Äckern. Die heutige Situation ist damit nicht vergleichbar. In unseren ausgeräumten, intensiv genutzten Agrarlandschaften fehlen die Lebensräume für wildlebende Bestäuber, Vögel und andere Wildtiere. Vor diesem Hintergrund können Initiativen und Projekte, die auf eine massive Ausweitung der Anzahl der Honigbienen ausgerichtet sind, mehr Schaden als Nutzen bringen. Stattdessen ist es sinnvoll, dass Bienenvölker in kleinen Gruppen über das ganze Land verteilt, möglichst ortsgebunden und ihren natürlichen Bedürfnissen gemäß gehalten werden. Wir brauchen in Zukunft eine solide Datenerhebung über die Bienendichte, die dem Tierschutz und dem Naturschutz hilft. Hier sehen wir insbesondere die Veterinärämter sowie die staatlichen Bieneninstitute gefordert.

2. Auf die Beziehungen kommt es an.

Wir müssen das Beziehungsgeflecht zwischen Bienen, der Landschaft und den Landnutzern in den Blick nehmen. Bei der Standortwahl eines Bienenvolks sollten folgende Fragen gestellt werden: Wird im Flugradius meiner Bienen bereits intensiv geimkert? Wie ist das Blütenangebot beschaffen? Bietet der Standort genügend Nektar und Pollen, um das Gedeihen eines Bienenvolks zu sichern, ohne dass es zusätzlich gefüttert werden muss? In der Begegnung mit Honigbienen kann der Mensch seine eigene Eingebundenheit in das Beziehungsgeflecht der Natur wahrnehmen, Verantwortung übernehmen und die Beziehungen aktiv und positiv gestalten. Daher kann eine verantwortungsbewusste Bienenhaltung einen wertvollen Beitrag zum Naturschutz leisten, da sie wie kaum eine andere Tätigkeit ein Bewusstsein für die Zusammenhänge in den Ökosystemen schafft.

3. Konkurrenz entsteht dort, wo Mangel herrscht.

Viele Wildbienen sind auf Pflanzenarten spezialisiert, die vor allem auf mageren Standorten gedeihen. Der große Nährstoffeintrag in der Land(wirt)schaft hat solche Standorte im ländlichen Raum verdrängt, die Städte sind somit oft die letzten Rückzugsorte für viele Wildbienenarten geworden. Auch für Honigbienen gibt es auf dem Land nach der Rapsblüte an vielen Orten nicht genug Nektar, sodass sie vermehrt in die Städte oder in Naturschutzgebiete gebracht werden, in denen es auch in den Sommermonaten noch ein Trachtangebot gibt. Um die wenigen, noch vorhandenen Magerstandorte als Rückzugsräume für Wildbienen zu schützen, sollte man die Aufstellung von Bienenvölkern an diesen Standorten begrenzen.

4. Krankheiten breiten sich dort aus, wo Blüten-Notstand herrscht.

Ein Mangel an Blüten und Lebensräumen führt nicht nur zu Nahrungsknappheit sondern auch dazu, dass sich Blütenbesucher auf den verbliebenen Blüten drängen, die sich sonst aufgrund ihrer unterschiedlichen Vorlieben in einer blütenreichen Landschaft aus dem Weg gehen würden. Dieses Gedränge, insbesondere geschwächter Tiere, kann dann zur Ausbreitung von Krankheiten führen. Wenn die Honigbiene ihrer Natur folgen und üppige Massentrachten sammeln kann, während sich die wildlebenden Insekten auf ihre vielfältig vorkommenden Zielpflanzen konzentrieren können, entstehen diese Probleme nicht.

5. Vielfalt schafft Stabilität und Resilienz. Bestäubung funktioniert in gesunden Ökosystemen am besten.

Bunte Wiesen sind ein Hort der Artenvielfalt.

Es wird viel darüber diskutiert, ob Honigbienen oder Wildbienen die wichtigsten Bestäuber sind. Internationale Studien zeigen, dass Bestäubung dann am besten funktioniert, wenn eine große Vielfalt bestäubender Insekten vorhanden ist. Wildlebende Bestäuber gedeihen in kleinstrukturierten, vielfältigen Landschaften am besten. Diese gilt es zu gestalten! In gesunden Ökosystemen haben sowohl Wild- als auch Honigbienen ihre eigenen Nischen. Bei allen Aktivitäten und Maßnahmen zum Schutz der Bienen sollte der Förderung einer gesunden biologischen Vielfalt immer höchste Priorität eingeräumt werden. Während Honigbienen zunächst auch von der Blüte einer Monokultur profitieren, gehen viele andere Bestäuber leer aus und verschwinden. Andersherum kann ein vielfältiges Blütenangebot sowohl von Wild- als auch von Honigbienen genutzt werden. Vom Schutz der Wildbienen profitieren also immer auch unsere Honigbienen. Gemeinsam stellen sie dann die Bestäubung zu jeder Jahreszeit bei fast jedem klimatischen Verlauf sicher.

6. Wir müssen gemeinsam die Ursachen für den massiven Rückgang der Insektenvielfalt angehen!

Die Konkurrenzdebatte darf nicht davon ablenken, die eigentlichen Ursachen für den massiven Artenverlust in den Blick zu nehmen: Monotone, ausgeräumte und verarmte Landschaften, Flächenversiegelung, naturfeindliche Privatgärten, Agrargifte und Überdüngung müssen gemeinsam von Imkern und Naturschützern in Angriff genommen werden. Diese Herausforderungen sind so gewaltig, dass wir es uns nicht leisten können, in Grabenkämpfen Kraft zu verlieren! Es müssen überall vielfältig vernetzte, blühende Landschaftsstrukturen entstehen, die nicht nur uns Menschen ernähren, dafür müssen wir uns gemeinsam einsetzen!

Autoren: Michael Slaby, Dr. Johannes Wirz, Katrin Sonnleitner, Dr. Matthias Wucherer und Ingo Lau von Mellifera e. V.

Dieser Beitrag ist zuerst in der Zeitschrift „BieneMenschNatur“, Ausgabe 42, Sommer 2022 auf Seite 6 erschienen.